Im vierten Teil zur Coaching-Analyse im Gesundheitswesen liegt der Fokus auf den Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen im Top-Management von Kliniken. Diese sind sehr vielfältig. Auch der Einsatz und Nutzen von Coaching wird hier beschrieben.
Die interviewten Führungskräfte haben mehrheitlich von komplexen Herausforderungen in ihrer täglichen Arbeit berichtet. Diese reichen von der angespannten Personalsituation und den Herausforderungen in der eigenen Rolle als Vorstand, über die Auswirkungen der Politik, dem sehr breiten Themenspektrum in den Aufgaben der Top-Manager:innen bis hin zur Personalführung und der finanziellen Situation der Kliniken.
Befragt nach ihren Bewältigungsstrategien, verweisen sie auf ein vielfältiges Maßnahmenspektrum.
Maßnahmen im Umgang mit den Herausforderungen
Zunächst wurden die Interviewten nach Maßnahmen befragt ohne den Fokus auf Coaching. Die Antworten der Befragten lassen sich in sieben Schwerpunkte gliedern:
Grafik 1: Umgang mit Herausforderungen im Top-Management
1. Kommunikationsmaßnahmen | 63,6 Prozent
Mehr als 60 Prozent der Interviewten intensivieren ihre Kommunikation. Sie etablieren neue Dialogformate wie Jour fixes, Klausurtagungen und Vier-Augen-Gespräche, informieren frühzeitig über neue Ideen und geben ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, Feedback zu geben. Zudem erklären sie häufiger, warum sie bestimmte Entscheidungen treffen und welche Konsequenzen damit verbunden sind.
Die Leitungskräfte erhöhen jedoch nicht nur die Frequenz ihrer Kommunikation, sondern legen auch Wert auf eine qualitative Verbesserung. Sie zollen ihrem Team Anerkennung und Lob, haben ein offenes Ohr für deren Nöte und Sorgen und suchen häufiger das direkte Gespräch auf den Stationen. Kommen dabei schwierige Themen zur Sprache, signalisieren sie Offenheit und versuchen die Konflikte auf persönlicher Beziehungsebene zu lösen. Auf der Leitungsebene engagieren sie sich zudem für einen vertrauensvollen und interdisziplinären Austausch.
Neben dem persönlichen Dialog nehmen die befragten Führungskräfte auch die institutionelle Kommunikation stärker in den Blick. So sind der gute Kontakt zum Klinikträger und das positive Storytelling über die sozialen Kanäle fester Bestandteil ihrer Agenda. Darüber hinaus entwickeln sie Sprachregelungen zu aktuellen Themen, wie z.B. der Krankenhausreform, und pflegen einen offenen, partizipativen Diskurs zum anstehenden Generationenwechsel oder den Unternehmenswerten.
2. Entwickeln von Personal und Organisation | 40,9 Prozent
Rund 40 Prozent der befragten Führungskräfte lenken ihre Energie darauf, ihr Personal und die eigene Organisation weiterzuentwickeln. Sie nutzen unternehmensfremde Expert:innen, um Probleme sichtbar zu machen, binden
ihre Teams stärker ein und machen häufiger Gebrauch von vorhandenem Wissen. Spezialisiertes Knowhow erwerben sie extern und bringen es in ihr Kollegium ein, z.B. über Videoclips. Für den Kliniknachwuchs entwickeln und etablieren sie zudem verschiedene Ausbildungsgänge.
Auf der Leitungsebene engagieren sie sich für eine wertebasierte Führung, den kreativen Umgang mit Herausforderungen und Mediationsangebote. Darüber hinaus etablieren sie Entwicklungsprogramme, Coachings und themenbasierte Workshops für Führungskräfte, die – so der Tenor – rasch positive Auswirkungen in ihren Teams haben. Ein weiterer Baustein ist beispielsweise der Einsatz einer psychologischen Fachkraft auf der Intensivstation, um die dortigen Kolleg:innen emotional zu entlasten und beraten.
3. Eigene Arbeitsweise | 40,9 Prozent
Ebenfalls 40 Prozent der Interviewten hinterfragen ihre eigene Arbeitsweise, um mit den täglichen Belastungen besser umzugehen. Sie reduzieren ihren Anspruch, alle Aufgaben zu hundert Prozent zu erfüllen, kurzfristig erfolgreich und für alles verantwortlich sein zu müssen. Stattdessen lassen sie die Einsicht zu, dass die eigenen Kompetenzen begrenzt sind und sie ihre To-Do’s mit Unterstützung aus dem Team besser erledigen. Viel wichtiger als überhöhte Erwartungen sind der Spaß bei der Arbeit, der Wunsch einen Beitrag zu leisten und das Gefühl, sich selbst im Spiegel anschauen zu können.
Doch nicht nur ihre innere Haltung, sondern auch das eigene Handeln haben die Führungskräfte angepasst. So konzentrieren sie sich auf ihren eigenen Wirkungskreis, kommunizieren häufig und transparent, bringen Lösungsvorschläge ein und lassen Humor zu. Eustress und Neugier sind wichtige Bestandteile ihrer Arbeitsmoral, um Energie für neue Themen zu entwickeln und agil zu sein. Damit sie auch langfristig gute Führung garantieren, reflektieren sie ihr Engagement alle drei bis sechs Monate und räumen sich Zeit für ihr eigenes Wohlbefinden ein.
Die Befragten betonen, dass ihnen ein Wandel der Arbeitshaltung gelingt und sie ihre eigenen Belastungsgrenzen gut einschätzen. Entscheidend dafür sind privater Ausgleich und die Stärkung ihrer Resilienz. Dennoch kommt es vor, dass Führungskräfte auf Urlaub verzichten und so Raubbau an ihrer Substanz betreiben.
4. Arbeitgeberattraktivität | 31,8 Prozent
Eine große Herausforderung für die befragten Leitungskräfte ist es, geeignetes Personal zu gewinnen und zu binden. Daher engagiert sich knapp ein Drittel für eine höhere Arbeitgeberattraktivität ihrer Klinik. Wichtig ist ihnen dabei, die Arbeitgebermarke zu stärken, authentisch und ehrlich zu kommunizieren und Bewerber:innen zu finden, die zum Unternehmen passen.
Damit dies gelingt, verbessern sie die Öffentlichkeitsarbeit und das Personalmarketing, optimieren Recruiting und Onboarding und erweitern die Benefits, wie z.B. Team- und Unternehmensfeste, Vergünstigungen im Nahverkehr, Jobrad, Gesundheitsangebote, kostenfreies Frühstück und ein Eiswagen als Erfrischung im Sommer.
5. Management und Strategie | 18,2 Prozent
Knapp ein Fünftel der Interviewten passt das Management und die strategische Unternehmensausrichtung an, um der Arbeitsbelastung Herr zu werden. Sie sorgen dafür, dass die Klinik krisenfest und wirtschaftlich stabil agiert, entwickeln Fusionspläne, bauen Medizinstrategien auf und moderieren diese Prozesse. Zudem erstellen sie Managementanalysen und -berichte, leiten Konsequenzen aus der Krankenhausreform ab und etablieren neue Schwerpunkte. Besonderen Wert legen sie darauf, Spezialwissen z.B. im Bereich Digitalisierung aufzubauen, um die eigene Organisation zu stärken. Für die Umsetzung neuer Ideen und Strukturen veranschlagen sie zudem realistische Zeiträume.
6. Außenwirkung | 18,2 Prozent
Ebenfalls rund 18 Prozent der befragten Führungskräfte beschäftigt sich mit der Außenwirkung und dem politischen Einfluss der Klinik. Dazu etablieren sie belastbare Kontakte zu Regionalpolitiker:innen, stärken ihr Stakeholder-Netzwerk und erhöhen die mediale Präsenz durch Veranstaltungen und Stellenausschreibungen auf sozialen Kanälen. Um auch für den Nachwuchs sichtbarer zu werden, nehmen sie an Ausbildungsmessen teil.
7. Persönliche Einstellung | 13,6 Prozent
Immerhin knapp 14 Prozent der Leitungspersönlichkeiten haben ihre persönliche Einstellung angepasst, um die Arbeitsbelastung besser zu managen. So machen sie sich regelmäßig bewusst, warum sie sich für die Gesundheitsbranche entschieden haben, und pflegen eine positiv-optimistische, hoffnungsfrohe Haltung. Ihnen ist es ein Anliegen, Coachingangebote in Anspruch zu nehmen und einen Ausgleich durch private Gespräche und Sport zu finden.
Möglicher Nutzen von Coaching bei der Bewältigung der Herausforderungen
Der Einsatz von Coaching unterstützt leitende Klinikangestellte dabei, ihre täglichen Herausforderungen zu bewältigen. Befragt nach den positiven Auswirkungen von Coaching-Angeboten, nannten die Interviewten drei Bereiche, in denen sie deutliche Verbesserungen feststellen:
Grafik 2: Positive Effekte durch den Einsatz von Coaching
1. Das Unternehmen | 54,5 Prozent
Mehr als die Hälfte der Interviewten schätzt den Austausch im Vorstand und mit den Geschäftsführungen als konstruktiver ein während als vor dem Coaching. Ihnen gelingt es besser, sich Gehör zu verschaffen, Veränderungen anzustoßen, Ideen zu kommunizieren und Ressourcenkonflikte zu klären. Aber auch in Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitenden nehmen sie einen Wandel wahr: Das Coaching hilft ihnen, unterschiedliche Interessen im Unternehmen zu reflektieren, die richtigen Entscheidungen zu treffen und diese nachvollziehbar in ihre Teams zu vermitteln. Zudem haben sie mehr Erfolg dabei, Strategien zu entwickeln, neue Organisationsstrukturen einzuführen und Vertrauen in den Leitungsnachwuchs aufzubauen.
Die Befragten nehmen das Coaching als ein gutes Instrument wahr, um Führungskräfte zu qualifizieren, sie zur Reflexion anzuregen und ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen. Mehr noch: Das Leitungspersonal versteht Coaching als einen wichtigen Baustein, um transformationale Führung im Krankenhaus umzusetzen. Ein weiterer Benefit aus Sicht der Interviewten ist, dass Klinikmanager:innen lernen, Aufgaben zu delegieren und gleichzeitig im Blick zu behalten, ob und wie diese erledigt werden.
Auch die Arbeits- und Teamatmosphäre scheint von gecoachten Leitungspersönlichkeiten zu profitieren. Laut den Befragten erkennen sie nach einem Coaching leichter, warum Mitarbeitende unzufrieden sind, Ohnmachtsgefühle verspüren oder ineffizient arbeiten. Sie fühlen sich in der Lage, diese Probleme zu bearbeiten, Aufbauarbeit in ihren Teams zu leisten, Konflikte zu verhindern und generationenübergreifende Missverständnisse aufzulösen.
2. Die eigene Persönlichkeit | 50 Prozent
50 Prozent der Interviewten schätzen die positiven Effekte eines Coachings auf ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung. Die Beratungsangebote helfen, einen konstruktiven Umgang mit Mangelverwaltung, Überforderung, Machtlosigkeit und Zukunftssorgen zu finden. Sie lernen abzuschalten und Ungeduld zu managen. Gleichzeitig nehmen sie ihre eigenen Stärken in den Blick und arbeiten lösungsorientierter.
Aus Sicht des befragten Leitungspersonals bieten Coaching-Angebote und der damit verbundene Perspektivwechsel einen deutlichen Mehrwert für die Arbeitsorganisation. Eine Beratung hilft, die eigene Kommunikation zu verbessern, Prioritäten zu setzen und Ideen nachhaltig umzusetzen. Daraus erwachsen auch Vorteile für ihre Mitarbeitenden: Die gecoachten Führungskräfte zeigen mehr Präsenz, sind motivierter und fokussierter, übertragen ihrem Kollegium mehr Verantwortung und treffen auch bei schwierigen Personalfragen nachvollziehbare Entscheidungen.
3. Kommunikation | 13,6 Prozent
Knapp 14 Prozent der Testpersonen haben durch das Coaching verstanden, wie wichtig eine gute und verlässliche Kommunikation im Team und in der Organisation ist. Die Notwendigkeit, sich persönlich mit Mitarbeitenden auszutauschen und Strukturveränderungen zu besprechen, war ein wichtiges Learning. Doch auch das Verständnis dafür, wie relevant der Dialog mit den Aufsichtsgremien ist, ist spürbar gewachsen
Mehr zur Coaching-Analyse
In den nächsten Teil der Coaching-Analyse erfahren Sie mehr über Sicht und Erfahrung meiner Interviewpartnerinnen und Interviewpartner für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Coach und Coachee wichtig sind.
Bereits veröffentlicht sind der Teil 1 zur Motivation der Interviewten, eine Leitungsaufgabe im TOP-Management von Kliniken zu übernehmen, und Teil 2 zu den bisherigen Erfahrungen von persönlichem Coaching und Coaching für Klinikpersonal insgesamt. In Teil 3 werden alle Herausforderungen im Top-Management ausführlich dargestellt, auf die sich die Maßnahmen in diesem Artikel beziehen.
Wenn Sie Interesse an der Gesamtanalyse haben, schreiben Sie mir gern.
22 Persönliche Gespräche mit leitenden und stellvertretenden Vorständen, Geschäftsführungen, kaufmännischen, medizinischen und pflegerischen Direktor:innen waren die Basis für diese Analyse. Ich bedanke mich ganz herzlich bei all meinen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern für ihre Zeit, ihr Vertrauen und den für mich so wertvollen Einblick in ihre Arbeits- und Gedankenwelt. Ob im eigenen Büro, Besprechungsraum, beim Waldspaziergang oder online – in jedem Austausch lud ich ein zur gemeinsamen Reflexion und gewann gleichzeitig neue Perspektiven, Eindrücke und Erkenntnisse.
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